Büro des Vereins der Zeitungskolpolteure 1987
Thomas Schmidinger

Prekäre Arbeit
Gründung des Vereins der Zeitungskolporteure

image


Im Ägyptischen Club wurde 1987 der Verein der Zeitungskolporteure als Interessensvertretung der Kolporteure gegründet. Bereits im Dezember 1980 hatten Zeitungskolporteure erstmals mit einem Flugblatt unter dem Titel „Ein Herz für Sklaven“ die KundInnen auf ihre Probleme aufmerksam gemacht. 14.000 Unterstützungserklärungen wurden für ihre Anliegen, wie die Aufnahme in ein reguläres Dienstverhältnis, gesammelt.
Für die meisten Kolporteure, die in den 80er Jahren vorwiegend aus Ägypten, Indien und Bangladesh nach Österreich gekommen waren, stellte diese Arbeit die einzige Chance dar, unbürokratisch einen legalen Aufenthalt in Österreich zu bekommen. Durch einen Erlass des Bundesministeriums für Inneres vom Mai 1983, der einer Absprache mit dem Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber folgte, wurde der Aufenthalt für Kolporteure geregelt.
Mit einem eigens für Kolporteure vorgesehenen, sogenannten „Z-Stempel“ im Pass, erhielten sie einen legalen Aufenthalt, sobald sie von einer
Kolportageabteilung einer Zeitung angemeldet wurden. Diese Abteilungen wurden jedoch auch verpflichtet, das Ausscheiden eines Kolporteurs sofort den Behörden zu melden, worauf die betreffenden Personen ihren legalen Aufenthalt wieder verloren. So verstärkte dieser besondere Sichtvermerk die einseitige Abhängigkeit der Kolporteure von den Zeitungen noch durch eine zusätzliche rechtliche Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern.
Bis heute hat sich an diesem Arbeitsverhältnis nichts geändert. Kolporteure stehen weiterhin in keinem Angestelltenverhältnis zu ihrer Kolportagefirma. Noch 1996 nahm der Gesetzgeber die Zeitungskolporteure auf Wunsch der Zeitungsherausgeber ausdrücklich von der Sozialversicherungspflicht aus.
Diese Regelung birgt für die Kolporteure eine Schuldenfalle. Wer sich nicht selbst versichert, muss nach einem Unfall, wie er bei der gefährlichen Arbeit im Straßenverkehr oft vorkommt, selbst die Behandlungskosten tragen. Trotz eines Urteils des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 1995, das Kolporteure als Arbeitnehmer einstufte, hat sich bisher nichts an ihrer prekären Beschäftigung geändert. Das Urteil wird bislang vom Sozialministerium einfach ignoriert.

Zeitungskolpolteure Video




Selbstorganisation und Öffentlichkeitsarbeit
"wir sind die Sklaven der Zeitungen"



So sichtbar Zeitungskolporteure als „lächelnde Litfasssäulen“ der Zeitungen auch im Stadtbild sind, so wenig ist über ihre soziale und rechtliche Situation bekannt. Erst im Dezember 1980 sorgte ein Flugblatt des Vereins der Ägypter für Kultur und Soziales gemeinsam mit der Zeitschrift Extrablatt für eine gewisse Öffentlichkeit für die prekären Arbeitsverhältnisse der Kolporteure. Nachdem dieser Verein auf Grund finanzieller Probleme aufgelöst worden war, gründeten ägyptische Kolporteure 1987 gemeinsam mit jenen aus Indien, Pakistan und Bangladesh den Verein für Zeitungskolporteure. Der Verein wurde als erste selbstorganisierte Interessensvertretung von den Kolportageabteilungen der Zeitungen als so bedrohlich empfunden, dass der Gründer des Vereins von der Belieferung mit Zeitungen ausgeschlossen wurde.



Arbeitsbedingungen
"unser Mann präsentiert, bewegt sich aber kaum"



Die Arbeitsbedingungen der Kolporteure, die als Selbstständige gelten, obwohl sie keine freie Zeiteinteilung haben, ihre Kleidung, ihren Standplatz und die Präsentation ihrer Zeitung genau vorgeschrieben bekommen, sind insbesondere für Kolporteure auf schlechten Standplätzen katastrophal. Die Einkommen sind dort besonders niedrig. 60 bis 70 Prozent der Kolporteure verdienten in den 90er Jahren weniger als 20 Schilling in der Stunde. Aufstiegsmöglichkeiten zu besseren Standplätzen scheinen primär als Disziplinierungsanreize fungiert zu haben, die für die Masse der Kolporteure unerreichbar waren.
Der Großteil lebte und lebt deshalb mit mehreren anderen Kollegen in meist desolaten und überfüllten Wohnungen. Wegen des geringen Verdienstes arbeiten viele Kolporteure in zwei Schichten, etwa zwischen fünf und elf Uhr vormittags und abends zwischen 17 und 23 Uhr. Durch ein System der Mindestabnahme müssen nicht verkaufte Exemplare teilweise von den Kolporteuren selbst aufgekauft werden.



Juristische Erkenntnisse und ihre mangelnde Umsetzung
"gemäß § 4 Abs. 1 Z.1 und Abs. 2 ASVG"



Im Jahr 1965, als die Mehrheit der Zeitungskolporteure noch österreichische StaatsbürgerInnen waren, wies die gewerbliche Regelung ihnen den Status eines Selbstständigen zu. Der am 9. Mai 1983 veröffentlichte Erlass des Bundesministeriums für Inneres, der nach einer Einigung mit dem Verband der Zeitungsherausgeber zustande kam, erleichterte den Kolporteuren einerseits den Aufenthalt, brachte sie zugleich jedoch in noch größere Abhängigkeit, da die Vertriebsorganisationen das Ausscheiden eines Kolporteurs melden mussten, wodurch dieser seinen Aufenthaltsstatus verlor. Am 5. Juli 1991 wurde in einem Prozess vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien einem zu Unrecht gekündigten Kolporteur eine Entschädigung zugesprochen, da ihm „keine unternehmerische Freiheit“ mehr geblieben sei, womit seine Tätigkeit als unselbstständig bewertet wurde. 1995 bestätigte auch der Verwaltungsgerichtshof die Sozialversicherungspflicht für Kolporteure. Dieses Urteil wurde bislang jedoch von den zuständigen Stellen in Politik und Verwaltung ignoriert.



Literarische Reflexionen
"woher kummst denn?"



Viele Zeitungskolporteure hatten in Ägypten oder Indien studiert, während sie in Österreich keiner anderen Tätigkeit nachgehen konnten, als Zeitungen zu verkaufen. Viele schämen sich für ihre Tätigkeit, sodass sie ihren Verwandten über andere Jobs berichten oder einfach nur erzählen, sie würden bei einer Zeitung arbeiten.
Der anerkannte Schriftsteller Tarek Eltayeb, dessen Bücher auf Arabisch, Französisch und Deutsch publiziert werden, arbeitete als Student unter anderem als Zeitungskolporteur für die Kronen Zeitung. Seine Kolporteurszeit ist Thema einiger seiner Texte. Er eröffnet damit einen anderen Blick auf die Situation von Zeitungskolporteuren.