Bosanac - Waren Aller Art am Mexikoplatz 1973
Hanna Esezobor

Gründung der Gulic OHG, 1973
Selbstständige Erwerbstätigkeit

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Mit der wirtschaftlichen Rezession Mitte der 70er Jahre kam die Arbeitslosigkeit. Ausländische ArbeitnehmerInnen verloren meist als erste ihren Arbeitsplatz und die damit verbundene Arbeitserlaubnis. In dieser Situation versuchten manche sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen und gründeten eigene Unternehmen. Handel mit Kleinwaren und die Tätigkeit als Marktfahrer waren beliebt, da sie zu den freien Gewerben zählen, für die kein Befähigungsnachweis erforderlich ist. Sinkende Lokalmieten eröffneten MigrantInnen noch zusätzlich die Möglichkeit, in die Gastronomie und in den Handel mit Waren aller Art einzusteigen, vornehmlich in der Naschmarktgegend, in Favoriten und auf dem Mexikoplatz.
Dort, auf diesem Platz nahe der Anlegestelle der Donauschiffe, finden sich die Spuren der ersten Geschäfte. In die bestehende, vorwiegend jüdische Geschäftsstruktur fügten sich die ArbeitsmigrantInnen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei ein. Ab den 60er Jahren lockte der Mexikoplatz durch das günstige Warenangebot WienerInnen, EinwanderInnen, aber auch TouristInnen aus den östlichen Nachbarstaaten an. Die EinkäuferInnen schätzten die Mehrsprachigkeit der GeschäftsinhaberInnen - sei es bei Bosanac - Waren aller Art, dem Musik-Center Ana, im Übersetzungsbüro Prevodi oder der Bäckerei Hisar. Der Mexikoplatz wurde zum Zentrum des frühen Unternehmertums von ArbeitsmigrantInnen in Wien, und er blieb es über fast ein Viertel Jahrhundert.
In den 80er Jahren ließ die rege Handelstätigkeit auf dem Mexikoplatz, mit Ausnahme einer kurzen Phase vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90, stark nach. Heute stehen viele Geschäfte am Mexikoplatz und Umgebung leer oder dienen nur mehr als Magazin. Die Zahl der selbstständigerwerbstätigen MigrantInnen ist in den letzten Jahren dennoch kontinuierlich angestiegen, quantitativ lässt sich dieser Trend eher an anderen Orten Wiens wie am Gürtel und in zunehmendem Maße auch in den anderen Bundesländern verfolgen.

Mexikoplatz Video




Selbstständige Erwerbstätigkeit


Die österreichische Staatsbürgerschaft zählte bis zur Gewerberechtsnovelle 2002 zu den allgemeinen Bedingungen, um einen Gewerbeschein zu bekommen.
Paragraph 14 der Gewerbeordnung (bis 1973 §8) bildet die gesetzliche Grundlage für den Zugang „Ausländischer Personen“ zu selbstständiger Erwerbsarbeit.



Mexikoplatz: eine bewegte Geschichte
"jeder wusste, dass der Mexikoplatz das Einkaufszentrum war"



Der Mexikoplatz erhielt seinen Namen 1956. Er wurde nach jenem Land benannt, dass als einziges gegen den sogenannten Anschluss Österreichs an das
Deutsche Reich 1938 protestierte. Etwa zur selben Zeit eröffneten ungarische Flüchtlinge rund um die Schiffsstation erstmals kleine Geschäfte.
Donaumatrosen und Lastwagenchauffeure, die sich hier mit Mangelware eindeckten, waren die ersten Kunden und halfen mit, den billigen Glanz des
Sortiments im Osten zu verbreiten und so den Mexikoplatz weit über seine Grenzen hinaus bekannt zu machen. Das günstige Warenangebot, die
Mehrsprachigkeit vor Ort und die Möglichkeit, in landeseigenen Währungen zu bezahlen, lockte TouristInnen aus den östlichen Ländern. Mit Beginn der
Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften kamen auch sie zum Einkauf auf den Mexikoplatz. Manche nutzten die Zusammenkünfte, um hilfreiche Kontakte
zu schließen und um sich Informationen über Arbeitsplätze und Wohnmöglichkeiten zu beschaffen.



UnternehmerIn am Mexikoplatz
"lauter fremde Namen"



Aufgrund der großen Nachfrage nach Waren aller Art und des regen Besucherstroms von WienerInnen und EinwanderInnen nahm die Geschäftstätigkeit am Mexikoplatz zu. Erdgeschoßwohnungen wurden in Geschäfte umgewandelt. Die Geschäftslokale dehnten sich so auf die umliegenden Straßenzüge aus. Sie alle waren der Mexikoplatz. Einige MigrantInnen erkannten die Möglichkeit, nicht nur am Mexikoplatz einzukaufen, sondern selbst als UnternehmerInnen tätig zu werden. Nadja und Ismet Gutlic, beide aus dem ehemaligen Jugoslawien, gründeten 1973 die Gutlic OHG und eröffneten in der Wachaustraße Bosanac - Waren aller Art. Ana Jankovic, ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien, begann Anfang der 70er Jahre mit dem Verkauf von Radios und Tonträgern. Das Übersetzungsbüro Prevodi von Helmut Lagor, einem burgenländischen Kroaten, etablierte sich in der Engerthstraße. Mehmet Ali Çankaya aus der Türkei führt seit 1994 die Hisar Bäckerei (heute Üçler), die seinerseits Arif Göreç 1979 als Körberbäckerei übernommen hatte.



Mexikoplatz heute
"die große Zeit des betriebsamen Mexikoplatzes ist vorbei"



Anfang der 80er Jahre begann der Geschäftsboom am Mexikoplatz nachzulassen, da billige Konsumgüter in den östlichen Nachbarländern selbst zu bekommen waren. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs im November 1989 kamen die Menschen auf den Mexikoplatz in dem Glauben, eine Art
„paradiesisches Kommerzsystem“ vorzufinden, welches eine uneingeschränkte Handelstätigkeit erlaubte. So etablierte sich auf dem Mexikoplatz ein informeller Markt, der sich auf die österreichische Wirtschaftbilanz kaum negativ auswirkte, aber in einer Zeit, in der die Beschäftigungs- und Einwanderungspolitik als Ganzes umstritten war, als „Osttouristen-Diskurs“ kriminalisiert, ins mediale Rampenlicht und so ins öffentliche Bewusstsein gerückt wurde.
Am Mexikoplatz ist die Zahl der selbstständig-erwerbstätigen MigrantInnen entgegen dem nationalen und internationalen Trend gesunken. Die eigentliche Geschäftstätigkeit zieht sich auf den Platz selbst zurück.